Kindliche Ängste im Alter von 1-3 Jahren

Annäherungen an gelebte Wirklichkeiten kindlicher Angst

„Angst klopft an, Vertrauen macht auf, keiner ist da!“

Gelingt es uns Erwachsenen einen Vertrauensraum für das einzelne uns anvertraute Kind zu halten, fühlt es sich sicher und aufgehoben. Zu diesem Vertrauensraum gehört, dem Kind seine Reife- und Entwicklungsphasen zu lassen, für es da zu sein, es zu halten, wenn es uns braucht, wenn es mit sich selbst, seinen Bedürfnissen, seinen Stimmungen kämpft und versucht, sich als kleiner Organismus im Gleichgewicht zu halten. Es braucht auch, dass wir liebende Blicke auf es richten und es damit in seinem Da-Sein bestätigen, um es von dorther mit Mitgefühl und Zuversicht zu berühren und ihm Mut zuzusprechen. Denn jedes gewagte Leben braucht von Anbeginn auch das, was wir Mut nennen. Jeder Schritt ins Leben braucht ein Sichtrauen, ein Darauf-zugehen und ein Sich-zutrauen, damit wir es bestehen können. Deshalb möchte ich diesen kleinen Aufsatz über Kinderängste mit der Frage nach unseren Qualitäten zum Thema Vertrauen beginnen.

I. Einstieg über das Thema Vertrauen

Wie fühlt sich Vertrauen in mir an?

Woran erkenne ich, dass ich im Vertrauen bin oder nicht? Wie fühlt sich das im eigenen Körper an? - Nur, wenn ich das weiß und Erfahrungen damit gemacht habe, kann mein Körper Seismograph für mich und das mir anvertraute Kind sein, im Hinblick auf die Qualität von Vertrauensbildung und von Vertrauensräumen.
Vertrauen hat mit gefühlter Entspannung, mit gefühlter Freude zu tun und damit, dass ich mich gehalten und zuhause fühle, dass ich mich verbunden, „in Verbindung“, fühle, dass ich mir zutraue das Leben, den nächsten Schritt, zu meistern. Wenn ich nicht im Vertrauen bin, fühle ich mich erfüllt von Ängsten und Sorgen, ziehe mich zurück, igele mich ein und verenge so meinen eigenen Raum, entstehen in mir zukunftsbezogene Zweifel, wehre ich mich dagegen, dass alte Schmerzen sich wiederbeleben können, empfinde ich das Leben als anstrengend, mühsam, es geht nicht mehr von allein, ich muss alles „mit dem Willen zusammenhalten“.

Das ungeborene Kind empfindet den Mutterleib in der Regel als einen hinreichend guten und ausreichenden Lebens- und Vertrauensraum.

Ausschließlich das stetige Wachstum macht es notwendig, die vertraute Welt gegen eine gefühlte „Nicht-Welt“ einzutauschen. Eine Welt von der das Ungeborene noch gar nicht weiß, ob es darin existieren kann.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das in der Lage ist, mit Bewusstsein das Hinausgestoßen werden in eine fremde Welt zu verwandeln in ein erneutes Vertraut sein und verbeheimatet werden. In den primärsphärischen, feinstofflichen Zwischenräumen von sich entwickelnder Mutter-Kind-Beziehung gestaltet sich ein Miteinander heraus, das für beide Seiten mehr als erträglich ist, wenn es gut läuft. Auf dieser Basis kann sich neues Vertrauen bilden und Lebensbejahung zur Grundlage werden oder eben auch das Gegenteil geschehen.

Evolutionsgeschichtliche Hintergründe

Sowohl in der Tierwelt als auch in der Menschenwelt hat es sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen, in Tuchfühlung mit dem Nachwuchs zu bleiben und sich auch in der Nähe der „Herde“ aufzuhalten, um sich darin unsichtbar zu machen und sich damit einem möglichen „Bedroher“ zu entziehen. Kein Wunder also, dass sich Mütter und Väter oftmals schwer tun, ihre Kinder in fremde Hände zu geben…. Sie wollen wissen: „Auf welcher Wertegrundlage arbeitet die Krippe? Sind die Mitarbeiter authentisch? Würden Sie mich im Zweifelsfalle über Vorfälle unter- richten? Kann ich mich auf Sie verlassen? Können Sie es wertschätzen, dass ich aus der zweiten Reihe meine Elternverantwortung wahrnehme und Verbindung halte, zu dem, was in der Krippe geschieht und wie mein Kind das verarbeitet?“

Die Krippe als Vorübungsraum zur Einfädelung in die Gesellschaftskultur mit ihren Abläufen, Ansprüchen und Herausforderungen

Hat sich im familiären, primärsphärischen Erarbeiten von tragenden Beziehungen, im Vorausahnen von akzeptablen Beziehungsantworten, die Verstandensein zur Folge haben, erst einmal Vertrauen als verlässliche Grundhaltung etabliert, ist ein guter Humus dafür geschaffen, sich von der vertraut gewordenen „Zweit-Welt“ wieder in eine neue „Noch-Nicht-Welt“ hinein zu wagen, nämlich die Kinderkrippe. Aufgabe der Erzieher und des Kindes ist es nun, die intimsphärischen Erfahrungen auf den größeren Zusammenhang der Kinderkrippe übertragen zu lernen, so dass auch dort wieder und erneut ein Boden von Vertrauen sich bilden und wachsen kann…. Am Ende der Krippenzeit könnte so ein dem Alter gemäßes, selbstbewusstes Kind stehen, das seinen Platz in der Krippe, im Kreise der anderen Kinder, gefunden hat - und dem es auch gelungen ist, sich den Wohlfühl- und Werterahmen der Krippe zu eigen zu machen und diesen damit auch auf selbstverständliche Weise in die Zukunft des nächsten Tages hinein mit vorauszudenken und damit den Rahmen insgesamt mitzutragen.

Krippenkinder wollen nicht verwaltet werden, sondern gehalten sein, begleitet, angeregt, beruhigt und verstanden werden. Sie brauchen Trost und Verständnis für das frühe Verlassen der Sicherheit gebenden Bindung, die sie mit der Mutter, even- tuell auch mit dem Vater eingegangen sind. Sie wollen in ihrem Wesen, ja in Ihrem grundlegenden Sein, gespiegelt und bestätigt werden und damit sich selbst als etwas aus sich heraus Bestehendes erfahren, auch dann, wenn sie diskontinuierliche Erfahrungen machen. Sie wollen sich ganz persönlich bezogen von Angesicht zu Angesicht, von Haut zu Haut verbeheimaten, ankommen in der Welt da draußen, außerhalb der Mutter und darin Halt finden, sich wohl und aufgehoben fühlen. Sie wollen mit dem Gegenüber klingen und sich immer wieder in einem gemeinsamen Ton einfinden, der sie über die Zeit hinaus trägt und das verursacht, was wir Vertrauen nennen. Sie wollen keinesfalls, wenn sie weder krabbeln noch laufen können in diese Noch-Nicht-Welt dort draußen außerhalb der Mutter hineingeworfen werden. Ja, es stimmt: In uns allen gibt es eine Kraft, die über das schon Vertraute hinaus, sich die Welt erschließen will und das Noch-Nicht-Vertraute in ein Vertrautes umwandeln will. Doch dafür braucht es den rechten Zeitpunkt, ein geduldiges großräumiges und warmherzig begleitetes Dorthin-Reifen durch eine nahestehende Bezugsperson, die mitfühlend diesen Übergang begleitet und solange zur Verfügung steht, bis diese neue Welt genügend kontinuierliche Vertrautheit ausstrahlt und sozusagen, das kleine Kind in dem neuen Milieu „trägt“.

Neben diesem ganz praktisch fühlbaren Beziehungsraum gibt es nun aber in jeder Einrichtung vordergründig den ordnungspolitisch wirkenden großen Raum, der auf verwaltungstechnischer Inhaltsebene basiert und der mit den Bedürfnissen des Kindes zunächst nur wenig zu tun hat. Der will und muss neue Strukturen schaffen, weil die alten Familienformen nicht mehr tragen und die gesellschaftliche Notwendig- keit besteht, dass Männer und Frauen nicht nur arbeiten können und dürfen, sondern möglichst auch sollten oder gar müssen. Wohin also können Kleinfamilien Ihren Nachwuchs abgeben, damit beide Eltern arbeitsfähig werden bzw. sind? Jedem Kind einen Krippenplatz, ist ein Apell, der aus dem ordnungspolitischen Strukturansatz gesprochen wird und in Unterbringungsräumen denkt, ohne die emotionale und soziale Färbung dabei klingend mitzutransportieren. Er setzt einen Personalschlüssel fest, von dem jede/r weiß, dass er sich nie erfüllt, denn ständig sind Kolleginnen im Urlaub, krank oder auf Fortbildung. 20-25% des vorgegebenen Schlüssels glänzen meist - vollkommen ohne eigenes Verschulden - durch Abwesenheit.

Der ordnungspolitisch vorgegebene Raum bestimmt im schlechtesten Fall eine Bezugsbetreuerin, die 4 Wochen später Urlaub hat oder krank geschrieben ist und das Kind in einem „Un-Raum“ zurücklässt, der nicht wirklich aufgefangen werden kann, jedenfalls nicht, ohne, dass das Kind innerlich ins Schwimmen gerät und den Boden unter den Füßen verliert, der sowieso noch nicht richtig trägt…

In der Mikrosphärologie des Kleinräumig-Familialen ging/geht es jedoch um die zartwandigen Kleinwelten, die mit Mutter-Kind-Verbundenheit, Paarverbundenheit, symbiotischer Partizipation und intimer Resonanz zu tun haben. Sie sind als erfüllte Rundungen und schwangere Räume vorzustellen und nicht als geometrische Formen und Ordnungsstrukturen. Solcherart positive Heimat- und Familiengefühle sind jedoch zu einer knappen Ressource geworden. Die Ausgangspunkte für positive, schöpferische Übertragungen familialer Erfahrung von Aufgehoben sein und vertrauensvoller Beziehung sind bereits kompromittiert, schon die Symbiosen sind kontaminiert, die familialen Schutzräume, die Vertrautheitsbiotope schrumpfen. Und wo diese fehlen, gibt es auch keine Grundlage bzw. Grunderfahrung von Bezogen- sein, das trägt. Wie soll das kleine Kind etwas ins Größere übersetzen, wenn es dasselbe im Kleineren nicht erlebt hat….?! Das macht Kindern Angst.

Zu mir kommen Mütter in Beratung, die noch bevor ihr Kind auf der Welt ist, bereits wissen, wann sie wieder arbeiten werden. Sie haben noch keine Erfahrung mit ihrem Kind, wissen noch nicht, wie es auf bestimmte Dinge reagiert, wann es blockiert, wann es sich freut und haben doch schon festgesetzt, wann die Brechung der gemeinsamen, als Kontinuität erlebten Dyade beginnt…. Sie haben eine erste große Diskontinuität bereits vorausgeplant.

Ich begleite Mütter, keine Einzelfälle übrigens, die die Zeit allein mit ihrem Kind nicht füllen können, die Angst haben vor diesem selbst zu gestaltenden Raum und die ihre Angst in die Sorge verschieben, sie könnten ihr Kind töten.

Oder Mütter, die keinen Platz haben für ein Kind in ihrem Leben und nicht verstehen, warum keines kommt, wo sie es sich doch so sehnlich wünschen.
Oder ich begleite Mütter, die 20 Jahre hoch identifiziert gearbeitet haben und die ohne Durchatmen und ohne inneres Loslassen dieses Lebensabschnitts in das Mutter werden hineinstolpern und die nicht selten 1-2 Jahre Erfahrung mit dem Kind benötigen, um zu bemerken, dass man mit einem Kind nicht nach Prinzipien der Arbeitswelt umgehen kann…
Verstehen Sie bitte diese Beispiele nicht als entwertende Kommentare, sondern als mitfühlende Beobachtungen, die auch mich immer wieder ratlos machen.

Wenn ein hinreichend gut gehaltenes Kind und eine hinreichend gute Mutter in einer hinreichend stützenden Welt eine nicht allzu gestörte Dyade bilden, in der sie sich persönlich entdecken und miteinander, sozusagen gemeinsam, entwickeln können, dann lässt sich hinreichend gut darauf bauen, dass die Dyade in eine nächsthöhere Ebene von Entwicklung führen kann und sich öffnen lernt für andere Menschen oder Menschengruppen und die gute Erfahrung aus der Dyade übertragen werden kann auf das neue Milieu. Im besten Fall gehen sie von hier aus auf die nächsthöhere Ebene und zeigen, wie das Ende der dyadischen Struktur in einem größeren Format „aufgehoben“ werden kann und dort auf seine Art seine Entsprechung im Sinne von Angstfreiheit und Sicherheit finden kann. Was ich zeigen will, ist, wie ein Neugebo- renes, dieser ehemalige Schützling seiner Placenta zum Symbionten seiner Mutter oder Pflegeperson wird, wie aus dem Säugling das Kleinkind in Resonanzen mit seiner kleinen Welt wird, wie dann durch Sozialisation die Teilhabe an einem größeren Kulturkörper (z.B. Krippe) und einem regionalen Territorium erworben wird. Es lohnt sich, die Grundlagen für das Zusammenhängen und Füreinander-Einstehen- Können von Menschen in einem gemeinsamen Werte- und Empfindungsraum zu durchdenken. Wie organisiert das Leben seine (gesellschaftliche) Kontinuität in größere Beziehungsräume hinein, ohne dass die Qualitäten des primärsphärischen verloren gehen? Gehen sie verloren, entsteht Existenz- und Vernichtungsangst.

Wer über Kinderängste von Kleinkindern im Krippenalter reden will, kann das also unmöglich tun, ohne den Bezugsrahmen zu betrachten. Aus der Praxis weiß ich einfach, dass eine Unterbringung in der Krippe nicht das Gleiche sein kann, wie die verlässliche Nähe der Mutter/des Vaters. Auch wenn sie durchaus zu einem Hort der Geborgenheit und der Freude werden kann. Diese These möchte ich gerne an einigen Beispielen untermauern.

III. Beschreibungen aus der Praxis

Eine Kindheitspädagogin, die in einer Kinderkrippe in Freiburg arbeitet und Kinder von einem halben Jahr bis zu eineinhalb Jahren betreut, hat es einmal so beschrieben: „Eine Mutter denkt ihr Kind in ihr ganzes Leben hinein. Das Kind ist - bewusst gedacht oder auch nur unbewusst dazu gestellt - in ihrer ganzen vorausgedachten und vorausgeträumten Lebenslandkarte immer mit dabei, ob gerne oder ungerne spielt dabei eine Rolle, aber zunächst eine untergeordnete. Ich als Erzieherin liebe natürlich die kleinen Wesen, ich weiß aber ganz genau, in einem Jahr muss ich sie wieder abgeben, muss mich von ihnen wieder verabschieden. Natürlich lasse ich mich auf sie ein, aber ich bin auch vorsichtig, habe meine inneren Grenzen, weil ich die Kinder ja bald wieder loslassen muss und dann auch ohne sie im Guten weiterleben will.“ Mehrere ihrer Kolleginnen ermahnten sie immer wieder, sie solle die Kinder (die Babys) nicht zu sehr verwöhnen.
Eine andere Fachkollegin schilderte mir einmal den Ablauf einer Eingewöhnung: „Eine Kollegin übernahm 14 Tage die Eingewöhnung eines „neuen Kindes“, die auch gut verlief. Mutter und Kind fassten Vertrauen, wiederkehrende Rituale und Beziehungsangebote führten zu einer ersten Verbeheimatung und wurden in ein erstes Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit umgewandelt, der erste Sprung war geschafft - und dann nahm die Bezugserzieherin ihren dreiwöchigen Jahresurlaub.“

Jede herzenskluge Erzieherin wird sagen, das geht gar nicht, trotzdem kommt so etwas vor. Und nehmen wir einmal an, es handelt sich nicht um Urlaub, sondern um Krankheit, dann ist ein solches Erlebnis nicht vermeidbar. Eine Mutter jedoch ist für ihr Kind immer da, auch wenn sie krank ist. Was will ich mit meinen Ausführungen ausdrücken? Keinesfalls, dass Einrichtungen schlecht sind, aber schon, dass es Einrichtungen sind und dass die Einrichtung dem Kind einen ganz bestimmten Rahmen zur Verfügung stellt. Und wie wichtig es ist, die Eltern in ihrer Rolle, wo es geht, zu stärken und zu unterstützen, denn wir können ihre elterliche Aufgabe in der Krippe nicht in dieser Ganzheit und Vollständigkeit übernehmen. Das gibt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit.

In einer anderen Gemeinde bekam ich mit, wie gründlich und sorgfältig die Eingewöhnung vorbereitet wurde und wie gut sie gelang. In der gleichen Gemeinde gab es allerdings eine Garantie auf einen Platz über das ganze Jahr. Wenn also eine Einrichtung für einige Zeit zumachte, wurden die Kinder auf andere Einrichtungen verteilt. Einjährige Kinder oder noch jüngere, sahen sich so ohne Vorbereitung plötzlich einer völlig fremden Umgebung und fremden Menschen ausgesetzt. Eine wache Kollegin stellte daraufhin fest, dass es sogar Kinder gibt, die das ganze Jahr gebracht werden ohne Verschnaufpause und sie appellierte an den Träger, ebenso jedem Kind, so wie es jedem Erwachsenen auch zusteht, einmal für drei oder vier Wochen im Jahr Urlaub von der Einrichtung zu verschreiben. Keine Verschnaufpause zu haben, nimmt die Möglichkeit, sich zu erholen, führt zu Stress und schafft so einen Boden für Ängste.

Mit Erzieherinnen von vier Krippeneinrichtungen habe ich einen Fortbildungs- tag zum Thema Kinderängste bei Kleinkindern gestaltet. Da gab es einige, die glaubten, eine Erzieherin dürfe die Kinder weder auf den Schoß nehmen, noch sich von ihnen küssen lassen, weil sie damit in Konkurrenz zur Rolle der Mutter gehen. Außerdem wollten sie nicht in die Gefahr geraten, dass man ihnen Missbräuchlichkeit im Umgang mit den Kindern unterstellen könnte. Sie hatten ganz eindeutig Angst vor den Gefühlen und Reaktionen der Eltern und der Öffentlichkeit. Wir hatten eine heftige Diskussion darüber, was für Bedürf- nisse Kleinkinder haben und auch darüber, inwieweit sie schon die Welt mit erwachsenen Augen sehen können. Ich klärte darüber auf, dass Kleinkinder nicht zwischen öffentlichem und privatem/familiären Raum unterscheiden können und dass sie dort, wo sie sich vertraut und aufgehoben fühlen, sich einfach anvertrauen und sich das holen und sich mit dem verbinden, was ihr Bedürfnis ist. Natürlich wird dadurch eine Person, die den ganzen Tag Bezugsperson für sie ist, zu einer besonderen Person, die vielleicht sogar in manchen Fällen als näher und vertrauter als die Mutter erlebt wird. In einer anderen Einrichtung kam man auf die Idee, eine Bezugsbetreuung erst gar nicht aufzubauen, damit es die Kolleginnen nicht so schwer haben, wenn die Bezugsbetreuung krank werden sollte. Hier wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Etwas für das Kind reifungsnotwendiges wurde unter- bunden, um sich selbst Arbeit zu ersparen. Menschlich nachvollziehbar, vom Kind her betrachtet sicher zu kurz gedacht.

In einer großen Kindertagesstätte, die ich über längere Zeit als Supervisor begleitete, gab es eine offene Gruppe von 1- 6 jährigen Kindern. Für diese Gruppe waren eigentlich 8 Fachkräfte vorgesehen. Über einen nicht kleinen, sondern fast schon erschreckend alltäglichen Zeitraum durfte ich begleiten, wie eine auf 3 Erzieherinnen geschrumpfte Gruppe versuchte, den Rahmen und den Raum für die Kinder zu halten. In persönlichen Teamgesprächen drückten die Mitarbeiterinnen ihre Verzweiflung aus. Der Spagat, zwischen Wirklichkeit und Wunschbild ist zu weit auseinandergeraten. Sie bezeich- neten das, was sie leisteten als unbefriedigende Notversorgung, für die Sie Ihren Beruf nicht gelernt hätten. Sie kämen gar nicht zu dem, was Ihnen an ihrem Beruf Spaß machen würde.

Warum all diese Situationsbeschreibungen?

Je kindfremder wir uns als begleitende Bezugspersonen oder als Einrichtung, die Rahmenbedingungen vorhält, verhalten, desto verunsicherter, unglücklicher und ängstlicher ist ein Kind und drückt das auch aus, ganz direkt durch Weinen oder indirekt durch entstehende Beziehungsstörungen, die dazu führen, dass sich das Kind nicht mehr führen lässt, nicht mehr erreichbar für uns ist, sich verschließt, uns nicht mehr vertraut usw.. Deshalb ist es mir wichtig, den Bogen in diesem Aufsatz über Kinderängste weit zu spannen.

Wurzeln kindlicher Angst sind meiner Erfahrung nach: Situativ durch Bedrohung ausgelöste Ängste, entwicklungsbedingte Ängste, erziehungsbedingte Ängste, Imitationsängste (durch die Eltern o.a. übertragene Angstverhaltensweisen), menschheitsgeschichtlich bedingte Ängste, durch Erfahrung bedingte Ängste, sowie Beziehungsstörungen.
Kleine Kinder haben z.B. Angst vor dem Alleinsein, dem Verlassen-werden oder vor dem Auf-sich-allein-gestellt-sein, vor Ablehnung und Liebesentzug, davor, dass die Mutter nicht wieder kommt, dass sie verloren gehen, vor Bindungsverunsicherung, vor Dunkelheit und Einschlafen, vor Albträumen, vor bestimmten Geräuschen, vor Beschämung, vor Gewitter, vor Trennung oder Verlust der eigenen Eltern, vor Überforderung, den eigenen Körper betreffend, vor aufgeladenen Stimmungen in ihrer Nähe (z.B.: Stress oder Streit), vor Ereignissen, die ihren kontinuierlichen Alltag überrollen oder vor allzu großen Überraschungen. Ängste sind immer ein Ausdruck dafür, dass etwas hereinbricht von innen oder von außen, das keine Sicherheit ausstrahlt, beunruhigt und Aufwände macht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Wir können anhand der beschriebenen Beispiele erkennen, die Institution als solche, in der Sie arbeiten, ist nicht per se gleich ein Vertrauensraum, sondern zunächst und vor allen Dingen ein Regelungsraum. Transparenz ist deshalb ganz wichtig, damit Eltern spürbar be-greifen können, dass in Ihrer Einrichtung nicht verwaltet wird, sondern Kindern hinterher gespürt wird.
Alle Eltern wissen, dass man unter Stress manchmal Dinge tut, ausspricht, für die man sich hinterher ohrfeigen könnte und die überhaupt nicht mit den Werten übereinstimmen, die wir leben wollen. Natürlich erwarten Eltern von Erzieherinnen eine gewisse Professionalität, aber sie wissen auch, dass die nicht davor schützt, Fehler zu machen. Je offener sie die Prozesse in der Kinderkrippe machen, je mehr sie die Eltern daran teilhaben lassen, um welche Themen sie in der Krippe gerade ringen, desto mehr vertrauen sie ihnen. Wer teilhaben kann, kann mitdenken und sich mit einbringen und er kann begleitende Mitverantwortung tragen. Wollen wir das nicht alle, dass das unsere Eltern tun? Nur so weit wie Eltern ihre Angst verlieren und ihr Kind im Vertrauen überlassen können, nur soweit ist das Kind auch frei, keine elterlich bedingte Angst mehr in der Krippe haben zu müssen.

IV. Was könnte das für den Krippenalltag bedeuten?

Ich wünsche Ihnen und den Ihnen anvertrauten Kindern tiefe Herzensverbindung beim Bewältigen der kindlichen Ängste. Das wichtigste im Leben sind die Verbindungen der Menschen zueinander und miteinander auf Augenhöhe. In Beziehung miteinander treten - sich verbinden mit anderen Menschen, ist für Kinder lebensnotwendig und ein tiefer Wunsch, nur so können sie sich sicher fühlen.

Ein Tag übrigens, der unter dem Motto steht, „Heute ist ein schöner Tag“ strahlt Freude und nicht Angst aus. Er beginnt mit einem Lächeln, mit einer freundlichen Begrüßung, damit, sich gegenseitig wahrzunehmen, sich anzuschauen, den Blick zu erwidern, sich gesehen zu fühlen, Nähe zu spüren und ein paar Worte miteinander zu sprechen. Da wo ich mein Herz öffne, öffne ich die Herzen der Menschen, da findet Begegnung und Kommunikation statt, da fließen die Menschen miteinander, ist es nicht so? Kommunikation lässt sich auf das lateinische Verb ‚communicare‘ zurückführen und bedeutet „teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen“. Kommunikation bezeichnet also den Austausch zunächst einmal von Energiefeldern und dann erst in zweiter Linie von Informationen zwischen zwei oder mehr Personen. Als elementare Notwendigkeit menschlicher Existenz und wichtigstes soziales Bindemittel findet Kommunikation über Augenkontakt, Berührung, Sprache, Mimik, Gestik, etc. statt.

Kommunikation braucht hohes Einfühlungsvermögen und Zeit, um Vertrauen aufzubauen, Zeit, um zuzuhören und natürlich eine angstfreie Atmosphäre. Wir Pädagoginnen können durch unsere Haltung, durch unsere Art der Beziehungsgestaltung, durch unsere Art des Da-Seins das Kind zum Sprechen einladen, so dass es die Sprache dafür einsetzen lernt, seine Gefühle, Empfindungen, seine Bedürfnisse und sein Erleben mitzuteilen und sich für sein Wollen auch sprachlich zu engagieren. Denn wer eigenes Erleben versprachlichen kann, kann es in gewisser Weise auch schon „hand-haben“, er ist nicht mehr nur darin verloren, sondern gewinnt Standvermögen auch über die Möglichkeit, davon und darüber sprechen zu können. Das mildert aufkommende Ängste.

Zum Ende des kleinen Aufsatzes hin möchte ich Sie einladen, einigen Selbstreflexionsfragen zu folgen und diese für sich zu beantworten im Hinblick vielleicht auf das letzte Gespräch, das Sie mit einem Kind führten:
Traten sie wirklich in Beziehung mit dem Kind? Waren sie interessiert an dem Befinden des Kindes? Wollten sie wirklich das Kind verstehen und etwas Neues herausfinden oder lernen? Haben sie sich im Kontakt ablenken lassen oder waren sie ganz bei dem Kind, das erzählt hat? Wie viel Freude hatten sie selbst beim Zuhören? Haben sie sich auf das Kind bezogen? Welche Mimik und Gestik hatten sie selbst? Welche Mimik und Gestik zeigte das Kind?

Wie Sie sicher aus jüngeren Studien wissen, gab es Untersuchungen in Kindertageseinrichtungen, in denen beobachtet wurde, wie oft Kinder direkt von Erzieherinnen angeschaut werden. Dabei wurde deutlich, dass es nicht wenige Kinder gab, die in 6 Wochen Beobachtungszeitraum nicht ein einziges Mal Augenkontakt mit einer Erzieherin hatten. Doch Augenkontakt ist Kommunikation schlechthin. Durch die Kommunikation mit dem Anderen findet der Mensch zu sich selbst und kommt dem Anderen näher – es ist das größte Geschenk wie Virginia Satire es formulierte:

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden.
Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“

Fehlt Kindern diese wichtige Erfahrung, fühlen sie sich unsicher, sind nicht entspannt, fühlen sich nicht gehalten und auch nicht beschützt. Sie fühlen sich, ohne, dass sie es schon benennen könnten, allein gelassen und sind erfüllt von Angst.

Literatur

Joachim Armbrust, Kinder bewältigen ihre Angst: So können Eltern helfen. Stuttgart 2008, Neuauflage: Warum Kinder Ängste haben - Kinderängste verstehen und bewältigen helfen. Urania/Herder, Freiburg 2013

Joachim Armbrust & Jasmin Hasslinger: Handbücher für die frühkindliche Bildung. Kinderängste bewältigen. Wie Erzieher/innen Kinder stärken können. Mit Bildkarten. Schubi Verlag 2010

Joachim Armbrust & Jasmin Hasslinger: Ängste erleben - Ängste bestehen. Aktivitäten zur Angstbewältigung. Schubi Verlag, 2012

Joachim Armbrust & Gudrun Noll, Besser leiten mit Vertrauen - Die Kita-Leitung als verlässliche Größe für Kinder, Eltern und Team; Carl Link Verlag, Köln, 2016

Joachim Armbrust, Melina Savvidis, Verena Schock: Konfliktfelder in der Kita, Vandenhoeck & Ruprecht, 2012

Joachim Armbrust, Siegbert Kießler-Wisbar & Wolfgang Schmalzried, Konfliktmanagement in der Kita – Verständigungsprozesse im Team gestalten; Carl Link Verlag, Köln, 2013, 2. Auflage, 1. Februar 2018

Jean A. Ayres: Bausteine der kindlichen Entwicklung, 2. Auflage, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992

John Bowlby: Frühe Bindung und kindliche Entwicklung, Ernst Reinhardt Verlag, München 1972

Ashley Montagu: Körperkontakt, 11. Auflage, Klett Cotta, Stuttgart 2004

Norbert Neuß (Hrsg.): Grundwissen Krippenpädagogik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Cornelsen, 2. Auflage 2012

Franz Renggli: Angst und Geborgenheit. Soziokulturelle Folgen der Mutter-Kind Beziehung im ersten Lebensjahr. Ergebnisse aus Verhaltensforschung, Psycho- analyse und Ethnologie. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1976

Peter Sloterdijk, Hans-Jürgen Heinrichs: Die Sonne und der Tod. Dialogische Untersuchungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Erste Auflage, 2001

15. Februar 2021 / Joachim Armbrust / Kita-Leitung