Konfliktmanagement in der Kita - Verständigungsprozesse im Team gestalten

Im Alltag einer Kita gibt es jeden Tag aus dem Augenblick heraus vielerlei Entscheidungen zu treffen und in direktes Handeln zu übersetzen. Der Schlüssel zu den Entscheidungen, die eine Erzieherin trifft, liegt in ihrem Selbstverständnis. Das gründet darauf, wie sie sich selbst sieht, wie sie sich versteht, wer sie glaubt zu sein und wie sie von sich selbst denkt. Ihre Identität und ihre Werte sind ihr grundlegende Motivation für ihr Handeln.
Gleichzeitig bewegt sich die Erzieherin in einem Feld von Kolleginnen, die ebenfalls ihre Schlüsse ziehen. Voraussetzung für ein gutes Miteinander ist hier die Bereitschaft, sich von den Haltungen der Kollegin/der Kolleginnen erreichen und berühren zu lassen. Nur in der gegenseitigen Bereitschaft, sich im Miteinander verwandeln zu lassen, können Konflikte immer wieder bewältigt und gemanagt werden. Das wiederum ist für das Team einer Kita sehr wichtig. Schließlich bewegen sich Erzieherinnen jeden Tag in unterschiedlichsten Erprobungsfeldern, in denen es darum geht, aus auftauchenden Problemen Aufgaben zu machen, die zu bewältigen sind.
Das Hauptbelastungsfeld von Erzieherinnen liegt aber vor allen Dingen in der Art, wie eine Erzieherin von ihrer Umgebung gebraucht und gefordert wird. Denn die Erzieherin verkörpert und schafft in der Art, wie sie als Person auftritt, den Rahmen der Kindertageseinrichtung, in der sie tätig ist:
Begegnet sie den Menschen offen, interessiert, nimmt sie sich Zeit für wichtige Gespräche, ist sie in der Wahrnehmung für die einzelnen Kinder, dann wirkt sich das auf die Gesamtatmosphäre aus. Ob sie ruhig wirkt oder gehetzt, keine Linie hat oder bei allem, was sie tut, für sich einen roten Faden verfolgt, spielt eine entscheidende Rolle. Sie ist eine öffentliche Person. Sie steht mit ihrer Person für Werte, Haltungen, für Umgangsformen und auch für die Art und Weise, wie mit Konflikten, offenen Themen oder sich widerstreitenden Interessen umgegangen wird. Sie ist ein Handlungsvorbild für alle. Sie schafft durch Ihre Person und das an sie gekoppelte Handeln Glaubwürdigkeit und Vertrauen oder eben auch nicht.
Es gibt unzählige Spannungsfelder, die die Erzieherin in ihrer Person austragen und zusammenführen muss und für die sie mit ihrer Person als Aushandelspartner zur Verfügung stehen sollte. Damit ist die Erzieherin auf ganz unterschiedlichen Ebenen gefordert: Sie muss die unterschiedlichen Erwartungen, die die Kinder an sie haben, unter einen Hut bringen und auch Erwartungen enttäuschen. Sie sollte sich mit dem Kind identifizieren können und dann doch auch wieder inneren und äußeren Abstand zum Kind nehmen können. Gleichzeitig sind die Erwartungen und Vorstellungen der Eltern auf sie gerichtet, die nicht immer mit ihren Konzepten und Vorstellungen vereinbar sind. Es beginnt ein Aushandlungsprozess um das, was das Beste für das Kind ist. Weiterhin muss sie sich auch stellvertretend für den Träger als Person der Diskussion über die übergeordneten Rahmenbedingungen stellen, zwischen den Interessen der Eltern und des Trägers und denen der Kinder und der Erzieherinnen vermitteln.
Die Erzieherin ist also aufgefordert sich auf den unterschiedlichsten Ebenen als gestaltende Akteurin zu platzieren, Impulse zu geben, Reflexionen zu initiieren, zu vermitteln, abzuwägen, zusammenzuführen, zu deeskalieren, aber auch einmal zuzuspitzen usw.
Das geht nicht, ohne selbst Plätze zu haben, an denen frau sich über diese Geschehnisse austauschen kann, wo frau Rückhalt erfährt und mit den konflikthaft angestoßenen Themen wieder zu sich kommt und eine Haltung dazu gewinnen kann. Deshalb ist ein tragfähiges und transparentes Team so wichtig in diesem Arbeitsfeld.
Die Entwicklung jeder Erzieherin ereignet sich also gerade im Spannungsfeld von solchen erlebten Grenzen und Möglichkeitsräumen, wie ich sie eben aufgeführt habe. Aus dem uns allen zur Verfügung stehenden Wissen um diese grundlegend dialektischen Gesetzmäßigkeiten alles Lebendigen und den sich daraus ableitenden hilfreichen Grundhaltungen ergibt sich aus meiner Sicht eine Basis für Zukunftsoptimismus, für Hoffnung und Vorfreude. Wir können jeden Tag, ja jede Stunde neu anfangen. Auch wenn wir vielleicht einmal das Gefühl haben, zurückzufallen oder auf der Stelle zu treten, wir wissen alle, auf einen Schritt zurück folgen wieder zwei Schritte vorwärts und umgekehrt - und am Ende bleibt in der Regel Entwicklung übrig.

„Es ändert sich.
Es ändert sich ganz allmählich. ↔ „Wir wollen unsere Ruhe haben!“
Es ändert sich allmählich ganz.“

Das Zusammenspiel von unabdingbar not-wendiger Veränderung und dem Wunsch nach Verweilen schafft immer wieder Spannungsbögen und daraus wiederum entwickeln sich immer wieder kreative Ideenschübe und Umsetzungsräume. Das Team erlebt, wenn es gut läuft, nach turbulenten Zeiten der Meinungsverschiedenheiten und der Dissonanz (z.B. durch widerstreitende Rollenaufteilungen im Team, die sich ergeben und auch für die Zielfindung notwendig sind): „Wir finden wieder zusammen.“
In diesem Sinne liegt jedweder Form von Kommunikation und Begegnung das prozesshaft Dialogische zugrunde, weil es ein sich ausdifferenzierendes Miteinander und Wachstum schafft. Ein Prozess, der Freude ausstrahlt, wenn er denn gelingt. Gelingen kann der Prozess allerdings wirklich nur dann, wenn wir die Auseinandersetzungsspannung, die sich aufbaut und den Konflikt, der dadurch entsteht, als Aufgabe annehmen und auch in seiner Spannung – und damit in seiner Aufforderung, ihn zu (er-)lösen oder zu verwandeln, - halten können. Was aber kann uns dabei helfen solcherart Spannungs- und Konfliktbögen zu bestehen und auf eine höhere Bewältigungsebene zu führen?
Ich möchte dazu im Anschluss einfach noch einmal einiges, vielleicht auch schon bekanntes über Kommunikation und Interaktion zusammenfassen:
Interaktion als wechselseitiges „aufeinander-einwirken“ von Menschen ist nicht nur Ausdruck menschlichen Zusammenlebens, sondern eine der elementarsten Voraussetzungen und Vorbedingungen des menschlichen Seins. Ohne Interaktion kann sich der Mensch weder seiner selbst bewusst werden, noch überhaupt existieren. In diesem Sinne ist Interaktion ein dauerhafter und dynamischer Prozess, der im Zusammenhang mit menschlichen Erziehungs- und Kommunikationsprozes- sen unbedingt zu reflektieren ist. Es gibt keinen Moment in dem Menschen ihre Umwelt nicht beeinflussen oder durch sie beeinflusst werden.
Dabei ist es aus sozial- und erziehungsethischer Sicht wichtig, sich bewusst zu machen, aus welcher Grundmotivation bzw. – einstellung heraus und in welcher Weise die einzelne Erzieherin diesen ständigen Prozess der Wechselwirkung bzw. Interaktion mitgestaltet: „Was bewegt die Kinder? Und was bewegt mich oder die Kolleginnen?“
Jede einzelne Erzieherin hat ihren „Wesenston“. Deshalb lohnt es sich, sich gegenseitig im Team zu unterstützen. So kann der Wesenston jedes Teammitglieds seinen vollen Klang entfalten. Denn nur Töne, die sich in ihrer Fülle ausbreiten dürfen, können mit anderen Tönen zusammen schwingen und das bilden, was wir einen Klangteppich nennen.
Und allem Teamklang wohnt ein Zauber inne,….
Klang öffnet einen großen Raum, in dem alle Menschen sich bewegen, in dem sie frei und tief verbunden sind. Klang ist der Ursprung aller Sprachen und der Musik, die uns alle eint. Durch den Klang erfahren wir Resonanz und im Tönen erfahren wir Verbindung und Zusammengehörigkeit. Wir schwingen uns aufeinander ein und bilden eine Art Klanggroßkörper. Klang ist der größte Geist hinter den Dingen. Teamgeist und „Teamspirit“ haben etwas mit Klang und gelebter Spiritualität (rückbindender Wertehaltung und Achtung vor allem Lebendigen) zu tun.
Ein Konflikt beinhaltet immer den Aufruf, ihn zu klären und zu lösen. Je authentischer wir mit unserem Teil im Konflikt mitschwingen und uns mit unserer Seite transparent machen und gleichzeitig auch die anderen klingen lassen, desto erfolgsversprechender ist das Unterfangen. Klappt dieses, können Sie mit sich selbst und anderen wieder in größere Harmonie kommen, meist verbunden mit einem Zuwachs an neuem Entwicklungsraum. Dabei kann es sich um innere Konflikte handeln, die sich in Ihnen aufbauen, oder aber auch um Konflikte, die Sie mit anderen Personen oder Situationen haben.
Kommen Sie für sich bzgl. des Konfliktes in einen Klärungs- und Verwandlungs- prozess, der Sie weiterführt und den Konflikt in seiner Breite und Tiefe auslotet, versetzen Sie sich damit auch in die Lage, bei Bedarf Ihre Position in aller Klarheit und Bestimmtheit nach außen hin vertreten zu können.
Das Leben ist in einem ständigen Wandlungs- und Veränderungsprozess. Wir wollen das aber oft nicht wahrhaben und lieber das Alte, schon Bekannte und Vertraute, ohne Öffnung für Neues festhalten, weil wir uns damit bereits auskennen, anstatt das Neue zuzulassen, das ja im Übrigen nicht alles „Alte“ und Vertraute wegspülen will. Doch selbst wenn uns das Festhalten am Alten leidend macht und sehr unangenehm auf uns einwirkt, neigen wir noch dazu, den Fluss des Lebens aufhalten zu wollen.
Nun stößt ja in unserem Alltag – im Privatleben, wie auch im Arbeitsleben. - nicht nur Altes auf Neues aufeinander, sondern es prallen häufig Tag für Tag verschiedene Meinungen, Wertungen, Umgangsformen, unterschiedliche Handlungsabsichten, Haltungen, Vorstellungen und Bedürfnisse aufeinander, innerhalb eines Menschen, der Familie, des Teams, der Kita, wie überhaupt innerhalb jeder kleineren oder größeren Gemeinschaft.
Diese Zusammenstöße (confligere, lat. zusammenstoßen) sind aus der Tiefe her gesehen die Prozessförderer für Weiterentwicklung, für Heilung und Versöhnung. Konflikte ermöglichen es uns, Widersprüche und Unterschiedlichkeiten, alt und neu gegeneinander aufzustellen, zu betrachten, zu erfühlen, wert zu schätzen, liebevoll anzunehmen, weiter zu entwickeln und aus ihnen heraus neue Lösungen, neue Denkarchitekturen, neue Bedeutungszusammenhänge, neue Haltungen zu entdecken. Wir lernen in diesem Prozess den Konflikten den ihnen gemäßen Raum zuzuweisen. Konflikte machen uns wach, sofern wir uns wachrütteln lassen. Sie erinnern uns daran, oft mit großer Wirkmächtigkeit, dass da in uns selbst ein Entwicklungsfeld ist, ein Bedarf, den momentanen Zustand zu überwachsen und dadurch zu heilen.
Konflikte gehören also zum Leben. Da das Leben unendlich vielfältig ist, sind auch die Konflikte - als Bestandteile individueller und sozialer Entwicklungen - einzigartig, vielförmig und komplex. Konflikte entstehen und verlaufen nicht nach „Schema F“, also können sie auch nicht nach einem „Standard“ geklärt und gelöst werden. Dennoch gibt es besondere Muster und Merkmale, die charakteristisch sind für konflikthafte Prozesse. Meist beginnt das Wahrnehmen von Spannungen und Konflikten durch ein „Bauchgefühl“ oder durch inneres Unbehagen und Irritationen. Vergegenwärtigen Sie sich einmal für einen kurzen Moment Ihre berufliche Situation. Können Sie sich an Arbeitssituationen erinnern, die sie als belastend und beklemmend erlebt haben? Oder befinden Sie sich ganz aktuell in einer noch nicht durchschaubaren, aber spürbar schwierigen Lage?
Denkbare, noch unklare Beobachtungen und Empfindungen könnten sich Ihnen möglicherweise folgendermaßen darstellen:

„Ich fühle mich wesentlich entspannter, wenn Kollegin Maike in Urlaub ist.“
„Wie gerne bin ich doch früher in die Kita gegangen, in letzter Zeit muss ich mich richtig hinschleppen.“
„Wenn ich sehe, wie leicht und verbunden sich die Kinder von Anna führen lassen, dann fühle ich mich richtig unbeholfen und ungeschickt.“
„Einige Teammitglieder kommen in letzter Zeit häufiger zu spät oder gar nicht oder geben vor, früher gehen zu müssen.“
„In letzter Zeit herrscht in den Teambesprechungen oft so eine angespannte Atmosphäre, oder habe ich das früher nur nicht wahrgenommen?“
„Kommt mir das nur so vor oder hat Kollegin Samantha an meinen Beiträgen immer etwas auszusetzen?“
„Mit welcher guten Klarheit Bettina den Eltern auch Grenzen aufzeigen kann, ohne den Kontakt zu verlieren, das beeindruckt mich.“
„Ich fühle mich schrecklich, wenn Kollegin Franzi Kollegin Stefanie in meinem Beisein schneidet und ignoriert.“
„Bilde ich mir das ein oder nimmt die Heftigkeit, mit der Argumente zwischen uns im Team ausgetauscht werden, zu? Ich habe das Gefühl, die Bereitschaft aufeinander zuzugehen nimmt ab.“
„In letzter Zeit fühle ich mich so gestresst, als ob mir die ganzen kollegialen Auseinandersetzungen plötzlich zu viel wären.“
„Wenn ich meine Chefin nach der Umwandlung meines befristeten Arbeitsvertrages in eine Festanstellung frage, reagiert sie so komisch und abweisend.“

Was spielt sich hier ab? Wie können Sie hier weiterkommen? Wie können wir unsere Wahrnehmung für solche Ereignisse und auftauchenden Befindlichkeiten schulen und nutzen?
Alle beispielhaft dargestellten subjektiven Befindlichkeitsbeschreibungen entspringen Kommunikationssituationen. Kommunikation ist der Austausch bzw. die Übertragung von Informationen / Botschaften. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen geschieht auf unterschiedlichen Ebenen. Es wird eben nicht nur mit Worten kommuniziert, sondern oftmals auch nonverbal.
Wir kommunizieren mit unserer Körpersprache: In welcher Köperhaltung befinden wir uns? Sind wir angespannt oder entspannt? Welche Gestik steht im Vordergrund?
Welchem Stil folgen unsere Bewegungen (fahrig, ruhig, ziellos,…..) . Was sagt unsere Mimik: Gesichtsbewegung, Augenbrauen, Mundhaltung, Augenkontakt: Wie lange? Sind die Augen dabei geöffnet? Usw.
Natürlich sind wir auch der Objektsprache mächtig: Über unsere Kleidung, sichtbar am Körper getragene Statussymbole (Ringe, Ketten, Uhr), Büroeinrichtung, Auto verschicken wir ebenfalls Botschaften der Selbstkundgabe (Schulz von Thun).
Ebenso bedienen wir uns der Raumsprache. Wie nah lassen wir jemanden an uns heran? Wie oft gehen wir in den Angriffsschutz? Wo beginnt und endet für uns die persönliche, soziale, öffentliche Zone? Wie breit muss unser Schreibtisch sein, damit wir uns wohl fühlen? Wie viel Nähe können wir genießen, wie viel Distanz müssen wir schaffen? Auch durch die Gestaltung des Raumes können Botschaften vermittelt werden: „Hier ist immer genügend Platz.“ „Du kommst mir zu nahe, ich ziehe mich zurück.“ „Ich wünsche mir mehr Nähe.“ (Kuschelecke)
Sie spüren es bereits: Die Kommunikation auf diesen Ebenen ist alles andere als eindeutig. Doch auch die Sprache als Übermittler kann ganz unterschiedlich wirken. Das gesprochene Wort wird in seiner Wirkung beeinflusst von: Lautstärke, Deutlichkeit, Geschwindigkeit, Tonfall, Melodie, Rhythmus, Pausen. Eine wissenschaftliche Studie wollte herausfinden durch welche Faktoren die Glaubwürdigkeit eines Redners bestimmt wird. Das Ergebnis: Zu 7% waren das Worte, zu 35% Ton und Klang der Stimme und zu 58 % Nonverbales. Kommunikationsstörungen können also unmöglich nur über Sprache gelöst werden. Fazit: Es ist nicht möglich nicht zu kommunizieren. Wir wirken immer auf andere. Jedes Verhalten hat also Mitteilungscharakter.

Nach dem Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun hat jede Mitteilung, den meisten von uns vermutlich bekannt, vier Aspekte:

1. Der Sachinhalt - Worüber ich informiere

Eine Nachricht enthält zunächst eine Sachinformation. Manche Menschen gehen davon aus, dass Kommunikation ausschließlich sachlich geführt werden kann und wundern sich, wenn das nicht funktioniert. Stets werden mit den Sachinhalten auch andere Qualitäten transportiert.

2. Die Selbstkundgabe – Was ich über mich selbst sage

Die Nachricht enthält auch Informationen über die Person des Senders, z.B. was er von sich hält, welche Fähigkeiten er zu haben glaubt, welche Dinge er wichtig findet, in welcher Verfassung er ist usw.

3. Die Beziehung – Was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe

Aus der Nachricht geht auch hervor, wie der Sender zum Empfänger steht und was er von ihm hält. Dies zeigt sich z.B.: in der gewählten Formulierung, im Tonfall, in der Körperhaltung und anderen nonverbalen Begleitsignalen. Für diesen Aspekt der Nachricht hat der Empfänger ein besonders empfindsames Ohr, denn hier fühlt er sich als Person in einer bestimmten Weise behandelt.

4. Der Appell – Wozu ich dich veranlassen möchte

Fast alle Nachrichten haben die Funktion auf den Empfänger „Einfluss zu nehmen“.

Sie dienen also auch dazu, den Empfänger zu veranlassen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, zu denken oder zu fühlen. Der Sender will mit seiner Nachricht etwas bewirken! Das kann ganz offen oder auch versteckt geschehen. Es grenzt also an ein Wunder, dass wir uns trotz dessen, dass Kommunikation so komplex und manchmal auch kompliziert sein kann, doch immer wieder verstehen und verständigen können. Ich habe einmal im Kino einen norwegischen Film mit dem Titel „Babettes Fiest“ angeschaut. Ungefähr 20 Menschen kamen zu einem Fest zusammen. Sie kamen voller Vorfreude auf die vielen Begegnungen und in der festen Vorstellung, dass das ein schöner Abend wird. Obwohl wir Zuschauer miterlebten, wie oft und wie nachhaltig die Menschen aneinander vorbei redeten, präsentierte sich die Szene für die Beteiligten subjektiv ganz anders. Sie fühlten sich verstanden, lachten miteinander, fühlten sich aufgehoben und zugehörig. Sie wollten einfach einen schönen Abend haben. Wenn Konfliktwolken den Himmel verhängen, hat es also offensichtlich nicht nur damit zu tun, dass wir uns nicht verständigen konnten.
In der Kita kommen Sie ja nicht nur zwecklos zusammen, sondern verfolgen auch Ziele und haben einen Auftrag. Sie sollen einen Rahmen schaffen, der dem Wohl des Kindes dient und der das Kind darin unterstützt, dass es sich bilden und entwickeln kann. Sie dürfen und müssen also Verabredungen und Absprachen treffen und diese dann auch umsetzen. Dabei sind Sie sicher auch schon auf nachfolgend aufgelistete Hürden der Kommunikation gestoßen:

Gedacht ist noch nicht bewusst gedacht.
Bewusst gedacht ist noch nicht gesagt.
Gesagt ist noch nicht gehört.
Gehört ist noch nicht verstanden.
Verstanden ist noch nicht einverstanden.
Einverstanden ist noch nicht durchgeführt.
Durchgeführt ist noch nicht erfolgreich durchgeführt.
Einmal erfolgreich durchgeführt ist noch nicht auf Dauer erfolgreich eingeführt…

Bleiben Sie trotzdem dran, geben Sie nicht auf! Denn Stagnation schadet unser aller Entwicklung und weggesperrte, verdeckte Konflikte kosten viel Kraft. Sie binden Energien, führen zu Kränkungen, lassen uns erstarren, vergiften die Atmosphäre, können im schlimmsten Fall Zusammengehörigkeit und gemeinsame Identität als gemeinsame Grundlage des Alltagshandeln zerstören, verhindern das Verflüssigen von Schwierigkeiten, die entstehen, halten an einem einmal geschaffenen Status quo fest und verhindern Zukunftsgestaltung und damit Veränderungen.
Im Gegensatz dazu ermöglichen offene Konflikte uns doch einiges. Sie verhindern Stagnation und Langeweile. Sie wecken, Interesse, Spannung und Neugier. Sie sind Chance zur Veränderung der Persönlichkeit, der Beziehungen der am Konflikt Beteiligten, sowie der Werte und Normen insgesamt. Sie sind Medium für das Aufzeigen eines Problems und seiner Lösung. Sie führen zu Selbstvertrauen und zur Klärung der eigenen Persönlichkeit. Sie festigen die eigene Identität. Sie führen zur Klärung der unterschiedlichen Positionen in der Beziehung, in der Familie, im Team, in der Kita. Sie sind eine Herausforderung für alle und sie schweißen zusammen, wenn sie bestanden werden. Sie helfen Bedingungen und Zusammenspiel zu verbessern. Sie führen zu gemeinsamen Lösungen, verbinden die beteiligten Menschen und erzeugen Energie, Tatkraft und ein positives Grundgefühl. Offene Konflikte machen aus energiefressenden Problemen gestaltbare Aufgaben. Ich wünsche Ihnen viel sinnerfüllende Freude bei der Verwandlung!
Dabei gilt es für die eigene Entlastung auch zu bedenken, dass das Erkennen der tatsächlichen Konfliktwurzeln nicht immer einfach ist. So stand gesellschaftlich zum Beispiel in den letzten Jahren das Motto „Kita-Plätze für alle“ politisch im Vordergrund. Fast nie wurden im öffentlichen Raum die entstehenden Situationen (z.B. Kinder ab ½ Jahr aufnehmen) und die Bedingungen, die sich daraus ergaben, beleuchtet. Außerdem wurde die Kita-Einrichtung plötzlich vor allen Dingen als Bildungsinstitution verstanden, die ihre Erfolge auch differenziert und wissenschaftlich dokumentieren muss. Kinder als Humankapital, Eltern als Wertschöpfer, denen es gilt, den Rücken frei zu halten, was hat das alles aber mit den Bedürfnissen der Kinder zu tun? Die Inklusion als weiterer Anspruch ist begrüßenswert, doch wird auch mitgedacht, wieviel mehr an Auseinandersetzung und Austausch dadurch notwendig wird? Werden diese Ressourcen auch zur Verfügung gestellt? Welche altersgerechten Erprobungsräume brauchen Kinder tatsächlich, wie können wir diese für und mit den Kindern gestalten und wie können wir als verantwortliche Erzieherinnen uns verständigen, dass diese Räume bei allen auch not-wendigen Entwicklungen nicht verloren gehen? Wie können Erzieherinnen dafür sorgen, dass die Einrichtung weiterhin kindgerechte und Kind orientierte “Räume“ zur Verfügung stellen kann?
Wie leicht rutschen wir bei all den politischen Anforderungsprofilen in Schreckstarre, fühlen uns ungenügend, gehen in die innere Emigration mit einer grummelnden Unzufriedenheit, die wir aber irgendwie nicht fassen können? Ich wünsche Ihnen, dass Sie an sich, an Ihr Team, an Ihre Grundwerte, die Sie in diesen Beruf geführt haben, glauben und dass Sie dafür sorgen, dass diese Grundmotivation, die Sie selbst in Ihrem Beruf ja auch nährt, genug gelebte Resonanz bekommt, so dass Ihnen die Freude an der Arbeit nicht verloren geht und dass es Ihnen gelingt, gute Formen für Ihre Teamfindungs- und Konfliktbewältigungsprozesse zu kultivieren, damit Sie sich als Team im guten Sinne gestaltend erfahren können.

Literatur:

Joachim Armbrust, Melina Savvidis, Verena Schock, Konfliktfelder in der Kita, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012

Joachim Armbrust, Siegbert Kießler-Wisbar, Wolfgang Schmalzried, Konfliktmanagement in der Kita- Verständigungsprozesse im Team gestalten, Carl Link Verlag, Kronach 2013

Joachim Armbrust, Geschwisterstreit – Konfliktstrategien für Eltern, Urania Verlag, Freiburg im Breisgau Neuauflage 2013

Joachim Armbrust, Konflikte gehören zum Leben, Konstruktiv-prozessualer Umgang mit Konflikten, Zeitschriftenaufsatz in klein & groß 05/14

Joachim Armbrust, Alltägliche Konfliktsituationen in der Kita und unser Umgang damit, Zeitschriftenaufsatz in kinderleicht 4/14 – Konfliktmanagement, Die Zeitschrift für engagierte Erzieherinnen und Erzieher

Joachim Armbrust & Jasmin Hasslinger, „Einstellung neuer Mitarbeiter/-innen – Auswahlkriterien und Merkmale professioneller Bewerbungsgespräche“, Fachartikel in Handbuch für Erzieherinnen in Krippe, Kindergarten, Kita und Hort, Ausgabe 74 (Erscheinungsdatum: September 2013), OLZOG Verlag

Joachim Armbrust, Merkmale fachlich gelungener Supervision, Fachartikel in Handbuch für Erzieherinnen in Krippe, Kindergarten, Kita und Hort, Ausgabe 56,, Februar 2010, OLZOG Verlag

Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1981

Paul Watzlawick, Menschliche Kommunikation. Formen. Störungen. Paradoxien., Hans Huber Verlag, 2000

15. Februar 2021 / Joachim Armbrust / Kita-Leitung